
Wort
Neben dem gesungenen habe ich mich auch intensiv dem gesprochenen Wort gewidmet. Zunächst allein, später dann in der Rolle des schwedischen Flugzeugmechanikers Pelle Haglund zusammen mit meinem Kollegen Herrn Brüns in der
Berliner Breitbandkommunikation i.A. - Wort und Sinn
Wir tingelten mit mehreren wortgewaltigen Kleinkunstprogrammen zunächst durch Berliner Kunstkneipen-Hinterzimmer, später sogar führte uns diese Tätigkeit bis nach Westdeutschland. Unser Ausgangspunkt war die weniger bekannte Literatur von Kurt Schwitters, die sich im Laufe der Zeit allerdings die Bühnenabende mit einem wachsenden Anteil eigener Texte zu teilen hatte...
Für ganz hartgesottene ZeitgenossInnen hier die Kritik eines offensichtlich kunstbeflissenen jungen Menschen. Jedoch mit Bedacht: Niemand muss das hier lesen...
Privat und sehr intim (...) Im Café Körte war es nicht. Da bauten die Leute gerade selbst um: alles schön in Gips-Weiß. Auf der zweiten Runde um den Block kam ich zu spät. Beim ersten Mal am Café Graefe vorbei wäre ich zurecht gekommen. Doch wie wurde ich empfangen! Der Kellner war schon traurig, als ich zuerst scheinbar ging. Doch dann die beiden 'Mundwerker'! Nach hinten, zum Raum 'Privat'. Ich öffnete die Türe und starrte in ein langes, enges Zimmer mit dreißig Leuten. Die beiden vor mir. Ich mich hingesetzt - und wurde gleich und ganz direkt 'angelesen'. Sie wandten sich mir zu. Und lasen ihre Texte: Klar, laut, deutlich, in Lauten direkt schwelgend, einander abwechselnd, mal der eine, mal der andere; beide kostümiert. Betonung ungestüm überall, mit erotischem Schwingen in der fast brüllenden Stimme, dann wieder leise und schnell wie ein Mäuschen sich in der Zimmerecke verkriechend. Noch immer war ich ihr Ansprechpartner, besonders von dem langen Breitgesicht, der mich auf dem Boden Hockenden letztendlich auf einen Stuhl manövrierte. Ich fühlte mich wohl, recht wohl. Es war angenehm, recht angenehm. Es war anregend, durchaus anregend. Ich regte mich manchmal auf dem Stuhl. Mein Körper wusste nicht genau, wo er hingehörte. Mein Geist wusste das aber: es war richtig, hier sollte ich hinhören. (...) Die beiden Vorleser lasen. Nein, eigentlich nicht. Sie kämpften um das Wort und dessen Intonation. Ob um dessen Sinn? Entweder eine sinnlose Frage, oder ich kann sie nicht beantworten. Soch ironisch-negativer Augenaufschlag mit neckisch gesenktem Kopf wie letzter Satz gehörte zu den Standardgesten von Brüns. Ein netter Junge. 'Eigentlich zu schade für das Leben', meint Tante Emma. Er selbst meint: 'Ohne Sinn und Verstand wurde ich immer älter. Daher nun die Beschäftigung mit dem Wort als Sinn.' Selbige ironisch-negative Ausdrucksausgestaltung bei Haglund brachte mehr den Eindruck hervor, hier zieht sich ein Kochlöffel selbst durch einen großen Topf mit Grießbrei. Haglund hat etwas sympathisch-befremdend Bäriges. Nicht nur ihm gefällt es sehr, seinen Brustkasten klingen zu lassen, dass man sich wie ein Baby in einer Wiege aus tief-jaulenden Orgeltönen fühlt. Ob Frauen sowas erotisch finden? Oder Männer? Zu Wort und Sinn steht nichts bei ihm, nur dass er kein Schwedisch spricht. Offensichtlich spricht er jedoch Kuwitterisch. Mächtig schiefe und komische Laute führen den wanderbereiten Zuhörer durch phantasieblasierte Wortwelten, deren Sinn mit jeder Erinnerung an angedeutete Lebenssituationen schillernde Denksteine prägt. Zwei Bergrührer, die mal ziehen, mal schieben, mal locken, mal drücken, bis die ästhetisch-literarischen Hosenböden so direkt angesprochen sind, dass sie sich munter mit um dieses Klettergerüst aus Worten und Sätzen winden. Heftiger Körperkontakt mit der Sprache, breitmäulig und spitzmündig, buchstabiert das Wort LITERATUR. Alleine das Hören reicht noch nicht. Die beiden ziehen sich an und um, streichen Brötchen oder zeigen Kartonrollen mit drei Seiten und einem Wort auf jeder Seite: Parallele Assoziationen bilden eine Geschichte. Hier wird man angeblickt, hier wird mit einem sich hingesetzt, hier wird man anliteraturiert. Nicht nur für GermanistikstudentInnen zu empfählen. Pfui, pfui! Von Salomon |